Dr. med. Horst Seithe über das Deutsche Rote Kreuz in der NS-Zeit
Am 9. Juli hatten wir Dr. med. Horst Seithe zu Gast in der Loge, der einen Vortrag über das Deutsche Rote Kreuz in der NS-Zeit hielt. Es ist dies ein noch sehr unzureichend aufgearbeitetes Thema. Ein Bereich, mit dem man sich im DRK aus den verschiedensten Gründen nicht auseinandersetzen wollte.
Foto: Verbandspäckchen mit Hakenkreuz aus einer Rotkreuzhelfertasche der 1930er Jahre, CC BY-SA 4.0
Dr. Seithe, studierter Historiker, Biologe und Humanmediziner der FU Berlin und WWU Münster, ist allein schon durch seine medizinhistorische Doktorarbeit zur Geschichte des DRK im Dritten Reich 1992 wie kaum ein anderer berufen, hier Licht ins Dunkel zu bringen und den Finger in die offene Wunde zu legen.
Seit vielen Jahren betreibt er nebenberuflich weitere Forschungen und Publikationen zur Geschichte des DRK und war zuletzt Initiator und Organisator der Wissenschaftlichen Fachtagung 2021 in Erlangen Online-Tagung: „Das Deutsche Rote Kreuz im Spannungsfeld zwischen humanitärem Anspruch und Realität 1914–1945“ | Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (fau.de)
Am 25. Januar 1921 wurde das Deutsche Rote Kreuz gegründet. Der 100. Geburtstag wäre eine schöne Gelegenheit gewesen, dass sich das DRK klar zu seiner NS-Vergangenheit bekennt. Nicht nur habe sich die DRK-Führung direkt an den Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten beteiligt, auch einige DRK-Mitglieder hätten an Aktionen wie der NS-Euthanasie mitgewirkt.
Das DRK stand nach dem ersten Weltkrieg vor neuen Herausforderungen, denn mit Beendigung des Großen Krieges glaubten viele die ursprüngliche Aufgabe des Roten Kreuzes, Soldaten auf dem Schlachtfeld zu versorgen, sei nun für immer vorbei und man müsse sich neue Betätigungsfelder suchen. Jedoch schon der erste DRK-Präsident Joachim von Winterfeldt-Menkin zeigt Anfang der 1930er-Jahre deutliche konservative und deutschnationale Sympathien, an die die Nationalsozialisten gut anknüpfen konnten, erklärte Horst Seithe.
Die Verstrickung des Deutschen Roten Kreuzes mit dem NS-Regime beginnt bereits 1933. Als Massenorganisation mit 1,4 Millionen Mitgliedern rückt das DRK schnell in den Fokus der neuen NS-Regierung, die dessen Gleichschaltung vorantreibt. Jegliche Aufgaben der Wohlfahrt, auf die sich das DRK in den Jahren nach seiner Gründung konzentriert hat, werden eingestellt - sie sind künftig Domäne der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt. Das Rote Kreuz soll sich, wie schon im Ersten Weltkrieg darauf vorbereiten, den Sanitätsdienst kriegsfähig zu machen. Jüdische Ärztinnen und Ärzte verlieren ihre Anstellung, alle anderen jüdischen Mitglieder werden gezwungen, auszutreten.
In den Folgejahren lasse sich die deutliche Verbindung zum NS-Regime nicht mehr leugnen, als hochrangige Mitglieder von SA und später SS die obersten Führungspositionen des DRK übernehmen, so Seithe weiter. Von Winterfeld-Menkin wurde gleich 1933 als Präsident abgelöst. Zum Nachfolger bestimmte man am 30. November 1933 den SA -Ehrenführer Carl-Eduard Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha. Die Ernennung des mit zahlreichen Adelshäusern Europas verwandter kosmopolitischen Aristokraten war ein geschickter Schachzug des Hitler Regimes das Ausland über die Pläne des Unrechtsstaates zu täuschen und zu beruhigen.
Sein stellvertretender Präsident, der Chef des Sanitätswesens der SA, Paul Hocheisen (1870-1944), wurde bereits am 2. Dezember 1933 vom Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, zum Kommissar für die Gleichschaltung des DRK bestellt. Hocheisen war es auch, der in der Folgezeit die eigentlichen Amtsgeschäfte führte. Im Januar 1934 wurde er zum stellvertretenden Reichskommissar der Freiwilligen Krankenpflege ernannt. In dieser Funktion forcierte Hocheisen die Gleichschaltung der Institution im nationalsozialistischen Sinne.
Horst Seithe sieht die Ernennung Hocheisens zum DRK-Vizepräsidenten vor allem als eine Stärkung der Machtposition von Innenminister Wilhelm Frick, denn mit ihm hatte der Reichsinnenminister Frick zusätzlich eine Vertrauensperson in eine wichtige Stellung befördert, von der aus Ministerium und Partei das DRK in ihrem Sinne beeinflussen konnten.
Im Dezember 1936 war die Zeit von Hocheisen abgelaufen und ein SS-Mann übernahm seine Aufgaben. Dieser Machtwechsel verdeutlich wenn auch mit ein wenig Verzögerung die Machtverschiebung im Reich von SA zur SS. Während die SA nach dem Röhm-Putsch 1934 in der Bedeutungslosigkeit versank, stieg die SS zur Zentralen Macht im Staate auf.
1937 wurde der Reichsarzt der SS und der Polizei, der SS-Obergruppenführer und Chef des SS-Gesundheitsdienstes Dr. med. Robert Grawitz vom Reichskanzler Hitler, Schirmherrn des DRK, zum stellvertretenden und später zum geschäftsführenden Präsidenten ernannt. Mit dem Chefarzt der DRK-Krankenanstalten Hohenlychen und Leibarzt Himmlers, Prof. Dr. med. Karl Gebhardt, und dem SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS und Leiter des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes, Oswald Pohl, wurden zeitnah zwei weitere wichtige Posten im Präsidium des DRK besetzt.
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Neben Grawitz waren diese beiden hohen NS-Funktionäre maßgeblich an verbrecherischen Menschenversuchen in KZ's und am Holocaust beteiligt. Zusätzlich wechselten zahlreiche SS-Funktionäre in verschiedene Führungsebenen des DRK. Damit hatte die SS nahezu ungebremsten Einfluss im DRK.
Grawitz verändert auch die Organisationsstruktur des Roten Kreuzes, er strafft sie und gliedert sie streng hierarchisch. Alle wichtigen Posten werden mit SS-Leuten besetzt. Es gilt das Führerprinzip. Hauptaufgabe ist der Sanitätsdienst der Wehrmacht. Indem die DRK-Helfer und -Schwestern die Wehrmacht mit ihren medizinischen Kenntnissen unterstützten, hat das Deutsche Rote Kreuz dazu beigetragen, den Angriffskrieg des Nazi-Regimes zu ermöglichen.
Grawitz beging 1945 erweiterten Suizid mit seiner Familie. Ansonsten wäre er in den Nürnberger Prozessen wahrscheinlich zum Tode verurteilt worden. Oswald Pohl und Karl Gebhard wurden in Nürnberg angeklagt, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Mit der Aufarbeitung tue sich das DRK schwer.
Nicht unerwähnt ließ Seithe die spärlichen Publikationen zu dem Thema, unter anderem das vom DRK selbst in Auftrag gegebene und 2008 erschienene Buch „Das Deutsche Rote Kreuz unter der NS-Diktatur 1933-1945“ der beiden Autorinnen Stephanie Merkenich und Brigitt Morgenbrod. Leider habe diese Publikation keine weitere Diskussion angestoßen, sondern war mehr oder weniger auch gleich das Ende der Auseinandersetzung mit dem Thema.