Vortrag Ralf Roth im Haus am Dom 4. September 2023 mit anschließender Diskussion
Ralf Roth begann seinen Vortrag mit einer immer wieder gestellten Frage: „Ist es an der Zeit einen Schlussstrich zu ziehen und sich nicht mehr weiter mit dem Holocaust zu befassen, weil vermeintlich bereits alles bekannt ist?“ Die Hälfte der Deutschen sehen das so.
So oder so ähnlich sah das wohl auch die Frankfurter Sparkasse, die sich zum Firmenjubiläum 2022 eine Festschrift bestellt hatte und sich darin hauptsächlich selbst feiern wollte. Als Ralf Roth bei der Bearbeitung der Zeit des NS auf wenig feiernswürdige Ereignisse stieß, wie zum Beispiel eine Spende über 100.000 RM an den Gauleiter zur privaten Nutzung, die Auszeichnung als NS Musterbetrieb, die Entlassung und Verfolgung jüdischer Mitarbeiter, sowie die Enteignung tausender nicht arischer Sparer bis zur Deportation, war man nicht bereit sich dieser missliebigen Vergangenheit zu stellen.
Ralf Roths Manuskript wurde von seinem Auftraggeber, dem Institut für Bank- und Finanzgeschichte umgeschrieben und viele brisanten Stellen gestrichen oder geglättet. Als Ralf Roth das nicht akzeptierte, warf ihm das Institut unsauberes Arbeiten vor und kündigte den Vertrag. Ralf Roth sah sich einer Kampagne ausgesetzt, die über die Presse verbreiten ließ, man habe drei Gutachter beauftragt das Manuskript zu prüfen. Das Ergebnis sei gewesen, dass wichtige Literatur und Quellen nicht benutzt worden wären, das Manuskript also gravierende handwerkliche Fehler aufweise. Der Vortragende erfuhr bei der Auseinandersetzung mit Institut und Sparkasse keine Unterstützung von Seiten der Universität, Kollegen, Stadt Frankfurt, Land Hessen, Historische Kommission, Institut für Stadtgeschichte oder den Museen, sowie dem Fritz Bauer Institut.
Er erreichte dennoch eine Einigung mit dem Institut für Bank- und Finanzgeschichte, weil sich im Verlauf der juristischen Auseinandersetzung herausstellte, dass es gar keine Gutachten gegeben hatte. Die in der Presse in die Öffentlichkeit verbreiteten Aussagen über die „handwerklichen Mängel“ beruhten auf unbegründeten Behauptungen von drei Herren der Universitäten Bonn, Bochum und Frankfurt. Nach dieser kurzen Richtigstellung ging Roth zum eigentlichen Thema des Abends über.
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Zum Forschungsstand Banken im NS
Als Ralf Roth 1994 als Projektleiter die Ausstellung zur 1200 Jahrfeier der Stadt Frankfurt kuratierte, gab es noch keine fundierte Forschung und Publikationen zur Bankengeschichte. Im Groben wusste man Bescheid, Details waren nicht erforscht. So wurde die Rolle der Banken auch nicht thematisiert, viel mehr bezog man sich auf andere Bereiche der NS-Zeit wie Frankfurt als neuer Wissenschaftsstandort für die rassenideologischen Positionen des NS.
Als das Historische Museum 2022 dem NS in Frankfurt –„eine Stadt macht mit“ eine ganze Ausstellung widmete, wurde die Banken wiederum nicht thematisiert. Das hätte man aber letztes Jahr anders handhaben können, denn seit 1994 hat sich in der Forschung einiges getan und sind nach 2000 mehrere Publikationen zu Banken und ihre Rolle im NS publiziert worden. Das war indirekt Folge der Kritik an der Ausstellung FFM 1200 – Traditionen und Perspektiven einer Stadt gewesen. Denn danach wurde sich intensiv um eine Neuausrichtung der Zeitschrift für Unternehmensgeschichte und der 1976 gegründeten Gesellschaft für Unternehmensgeschichte bemühte.
https://bnaibrith-ffm.de/de/aktivitaeten/vortraege-seminare/19-veranstaltungen/vortraege-und-seminare/146-vortrag-ralf-roth-im-haus-am-dom-4-september-2023-mit-anschliessender-diskussion#sigProId47d78706e2
Eine Tagung der GUG „Unternehmen im NS“ im IG Farbenhaus im Sommer 1997 machte deutlich, was damit beabsichtigt gewesen war: Offener Umgang mit den Verbrechen in der Zeit des NS auch in der Unternehmensgeschichte. Festschriften sollten keine geschönten Darstellungen der Vergangenheit, sondern wissenschaftliche Kriterien erfüllen, d.h. eine offene Thematisierung der Beteiligung an den Verbrechen des NS-Staats, die Arisierung von jüdischen Unternehmen und Kunden, die Aufdeckung des Systems der Devisenkontrolle und seine Rolle bei dem Raub der jüdischen Kontenvermögen und Sparbucheinlagen. Ralf Roth nannte eine ganze Reihe von Publikationen, die bereits viel Licht ins Dunkel gebracht hatten.
- Lothar Gall et al., Die Deutsche Bank 1870-1995. Beck 1995, Banken und nichtarische Unternehmen, 344ff. „Mit ihrer Beteiligung an der „Arisierung“ lud die Bank eine schwere moralische Schuld auf sich.“ 351
- Harold James, Die Deutsche Bank und die Arisierung. Beck 2001, Kapitel Jüdische Bankkonten, 195-203
- Harold James, Die Deutsche Bank im Dritten Reich. Beck 2003, Kapitel Jüdische Bankkonten, 196-205
- Ludolf Herbst, Die Commerzbank und die Juden 1933-1945. Beck 2004, darin: Hannah Ahlheim, Die Commerzbank und die Einziehung jüdischen Vermögens, 138-172.
Daneben gab es aber auch eine Reihe von Publikationen, die nur scheinbar zur Aufklärung beitrugen, wichtige Bereiche jedoch erst gar nicht aufgriffen. In Bezug auf eine Studie zur Landessparkasse Braunschweig gab Joachim Scholtyseck gab dem Vortragenden die für einen Wirtschaftshistoriker erstaunliche Antwort, dass es keine Quellen seitens der Bank- bzw. Sparkasse gegeben hätte, um der Frage der Enteignung von jüdischen Spareinlagen nachzugehen, und die Geschichte einer Sparkasse könne nur mit den hauseigenen Quellen geschrieben werden. Keine Quellen, keine Aussagen, keine Verbrechen
In Bezug auf die Teilstudie Die Dresdner Bank und die deutschen Juden argumentierte der Verfasser, Dieter Ziegler. „“ Zur Aufarbeitung der Geschichte der Dresdner Bank im NS wurde ein enormer Aufwand betrieben, Akten und Dokumente zu finden, zu sichten und auszuwerten. Dabei wurde jedoch die wichtigste Quellengattung vermieden: die Akten der Devisenstellen.
Was war die Devisenstelle?
Die Devisenstellen der Landesfinanzämter – später Oberfinanzpräsidien – waren im Zuge der Devisenbewirtschaftung 1931 ins Leben gerufen worden. Sie waren zwar den Oberfinanzpräsidien zugeordnet, fachlich geführt wurden sie aber vom Reichswirtschaftsministerium. Ihr Ziel war es, Kapitalflucht zu verhindern und die Devisenzwangsbewirtschaftung durchzuführen. Bis 1933 waren alle Reichsbürger von den Devisengesetzen in gleichem Maße betroffen, nach 1933 wurde die Devisenstellen wie auch der Reichsfiskus explizit gegen die jüdische Bevölkerung tätig.
Sie nutzten ihre Handlungsspielräume bei der Bewilligung von Devisen im Auslandsgeschäft zur Benachteiligung so genannter „jüdischer Firmen“, oder führten verschärften Devisenprüfungen durch, die nicht selten in einem Devisenstrafverfahren und dann der „Arisierung“ endeten, was Sinn und Zweck der verschärften Kontrollen war. Der zweite Tätigkeitsbereich war die finanzielle Transaktion bei der Auswanderung, die meist eine Flucht aus dem Heimatland war, die Mitnahme des Umzugsgutes und später die Durchführung der generellen „Sicherung“ der „jüdischen Vermögen“. Spätestens in den Jahren 1937 und 1938 wurde von den Devisenstellen ausgehend ein engmaschiges Netz der Kontrolle aller Vermögensbestandteile der Juden und der als Juden geltenden Teile der Bevölkerung ausgelegt und ihr Zugriff auf ihren Privatbesitz eingeschränkt und später enteignet.
Anhand zahlreicher Beispiele aus dem großen Quellenbestand erläuterte der Vortragende das breite Spektrum an Details zu dem rund zehnjährigen Vorgang der Enteignung der Haushaltsvorstände von rund 30.000 Frankfurter Juden. In Bezug auf Informationsdichte und den grausamen Details sind die Akten der Devisenstelle nahezu ohne Beispiel.
Es bleibt ein Rätsel, warum diese Akten, die seit über 20 Jahren intensiv zur Erforschung einzelner Schicksale der Juden genutzte werden – u. a. von den Stolpersteininitiativen, nicht für eine Gesamtschau der Mithilfe der Banken bei der Enteignung der Juden benutzt worden sind.
Ralf Roth hat sich deshalb mit seinem Forschungsprojekt über die Enteignung der Frankfurter Juden das Ziel gesetzt die zahlreichen Enteignungsvorgänge anhand dieser Akten der Devisenstelle Frankfurt auszuwerten. Es soll ein Modellstudie werden, die dann in anderen Städten zu ähnlichen Untersuchungen führen könnte. Unterstützt wird er dabei von mittlerweile vier ehrenamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die sich vorgenommen haben, mindestens 10 Prozent der insgesamt 36.000 überlieferten Einzelakten dieser für Frankfurt zuständigen Devisenstelle auszuwerten, um die tatsächliche Dimension der Enteignung als Teil und Vorgeschichte des Holocausts näher bestimmen zu können.
Die geschätzte Summe allein der Enteignungen der Bankguthaben und Sparbucheinlagen, also ohne Grundbesitz, Lebensversicherungen und Hausrat und allein bezogen auf die Frankfurter Banken und Frankfurter Juden beläuft sich auf der Grundlage einer Vorstudie mehr als eine Milliarde Euro. Zu dem Forschungsprojekt, das bei der B’nai B’rith Frankfurt Schönstädt Loge angesiedelt ist, hat sich außerdem ein Beratungsgremium gebildet, dass die Ergebnisse kritisch begleitet. Die fertige Forschungsarbeit soll im Exil Verlag erscheinen. Eine englische Übersetzung soll ebenfalls vorbereitet werden.
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die Akten der Devisenstelle kein trockenes Zahlenwerk sind, sondern Aufschluss über die Einzelschicksale geben. So lassen sich Lebensläufe bis zur Flucht oder Deportation verfolgen. Die Lebenswirklichkeit der Frankfurter Juden zur damaligen Zeit wird deutlich. Es lassen sich Verdrängung, Demütigungen und Drangsalierung nachweisen. Es ist die aktive Mittäterschaft der Sparkasse erkennbar, in dem man auf versteckte Werte hinweist, wie eine Briefmarkensammlung, in dem man eine Liste mit noch nicht gesperrten Konten erstellt, usw.
Die Akten der Devisenstelle müssen dringend weiter ausgewertet werden, es ist eben noch nicht Zeit für einen Schlussstrich.