Rede von Benjamin Graumann zu Ehren der im 1. Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten am 10.11.2022
Sehr geehrter Herr Rabbiner Apel, sehr geehrter Herr Rabbiner Sousan, sehr geehrter Herr Rabbiner Balla, sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Frau Dr. Eskandari Grünberg, sehr geehrter Herr Staatssekretär Uwe Becker, sehr geehrter Herr Brigadegeneral Herr von Roeder, sehr geehrte Vertreter des Landes Hessen und der Stadt Frankfurt, sehr geehrte Damen und Herren und liebe Schüler der Lichtigfeldschule.
Erst gestern haben wir an die Pogromnacht vom 09.11.1938 erinnert, in der die Synagogen in ganz Deutschland brannten und nicht nur die Schaufenster der jüdischen Geschäfte zerbrachen, sondern endgültig auch die Hoffnungen der Juden auf eine Zukunft in einem Land, das sie Heimat nannten.
Es waren Hoffnungen, die auch mit den Ereignissen zusammenhängen, an die wir uns heute erinnern. Nur 24 Jahre vorher sahen Juden in Deutschland mit Beginn des ersten Weltkriegs eine einmalige Chance, den Antisemitismus endlich zu überwinden, ihre Integration zu besiegeln und ihre Loyalität zu beweisen. Aus heutiger Sicht erscheint es schrecklich naiv und absurd, patriotischer als die kühnsten Patrioten und deutscher als die stolzesten Deutschen sein zu wollen, um damit den Antisemitismus zu besiegen. Aber der verzweifelte Wunsch, endlich die vollwertige Anerkennung zu erhalten und in Frieden leben zu wollen, war so groß, dass die Vertreter der Juden in Deutschland nach Kriegsbeginn öffentlich dazu aufriefen, sich freiwillig als Soldat zu melden.
Doch nach der anfänglichen Euphorie folgte sehr schnell die traurige Erkenntnis, dass weder Patriotismus noch Assimilation den Antisemitismus überwinden können. Alle Hoffnungen auf „Normalität“ durch den Einsatz des eigenen Lebens an der Front wurden bitter enttäuscht. Mitten im Krieg ordnete das Kriegsministerium die sogenannte „Judenzählung“ an, um zu beweisen, dass sich Juden vor dem Kriegseinsatz drückten. Die Judenzählung war nichts anderes als die staatliche Legitimation und Implementierung von Antisemitismus. Juden wurden verleumdet und diskriminiert, obwohl sie ihr Leben für Deutschland riskierten.
Dabei war der Vorwurf der Drückebergerei ebenso falsch wie wirksam. Die Opfer und Leistungen der jüdischen Soldaten wurden komplett ausgeblendet und Juden dienten einmal mehr als Sündenböcke. Auf genau diesem Nährboden wuchs die Kraft des aggressiven und ungezügelten Antisemitismus, an den die Nazis anknüpften.
Für Deutschland kämpften im ersten Weltkrieg fast 100.000 Juden, die meisten davon an der Front. Auch die Teilnahme von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und der Bnai Brith Loge sind dokumentiert. Mehr als 30.000 Juden wurden für ihren Einsatz ausgezeichnet. 12.000 von ihnen starben im Krieg, auf diesem Friedhof sind 50 beerdigt, deren Namen wir gleich hören. Wir gedenken heute aber nicht nur der gefallenen jüdischen Soldaten, sondern auch der jüdischen Soldaten und ihren Familien, die später durch die Nazis ermordet wurden. Sie erlagen dem verhängnisvollen, dem tödlichen Irrtum, dass die Auszeichnungen als Soldat sie vor den deutschen Mördern schützen würden. Das eiserne Kreuz bot keinen Schutz, sondern wurde zu einem wertlosen Stück Metall. Juden waren deutsch genug, um im Krieg ihr Leben zu riskieren, aber nicht deutsch genug, um wirklich deutsch zu sein. Die ehemaligen Soldaten starben mit der Einsicht, dass ihr Einsatz umsonst und ihr Wunsch nach Anerkennung, Gleichberechtigung und Freiheit endgültig gescheitert waren.
Was lernen wir aus all dem für heute? Ganz sicher: Keiner wird ein besserer Deutscher, wenn er aufhört Jude zu sein. Jüdische Identität war, ist und bleibt unsere DNA. Gleichwohl sind wir heute nicht nur„ Mitbürger“, oder „Außenstehende“, sondern Teil der Gesellschaft auf allen Ebenen: Und wir haben heute wieder jüdische Soldaten und der Militärbundesrabbiner ist heute sogar hier bei uns.
Und daher ist es gut und wichtig, dass wir heute als Jüdische Gemeinde, Stadt, Land und Bundeswehr gemeinsam gedenken. Aber es reicht natürlich bei weitem nicht aus. Wir erleben schwierige und unruhige Zeiten. Zeiten, in denen es so viele Straftaten gegen Juden wie noch nie seit dem Krieg gibt. Zeiten, in denen Juden in wilden Demos von sogenannten Querdenkern für alles mögliche verantwortlich gemacht werden, Zeiten in denen die Versammlungsfreiheit missbraucht wird, für antisemitische Hetze und Zeiten, in denen die Kunstfreiheit missbraucht wird, um antisemitische Bilder in der Tradition des Stürmers auszustellen, übrigens gefördert von Geldern des Landes und des Bundes.
Und ganz aktuell: Zeiten, in denen mit Roger Waters einem Antisemiten und radikalen BDS-Anhänger die Bühne gegeben werden soll und das ausgerechnet an dem Ort, an dem die Frankfurter Juden am 09.November 1938 zusammengetrieben und deportiert worden sind. Das ist nicht nur unanständig, das ist unerträglich. Für jüdisches Leben heute einstehen, bedeutet hier und jetzt entschlossen zu handeln. Die Geschichte lehrt uns, dass Wegsehen und Schweigen keine Optionen sind. Wir müssen den Antisemitismus in jeder Form, zu jeder Zeit und an jedem Ort bekämpfen und wir müssen dabei den gleichen Mut und die gleiche Entschlossenheit zeigen, wie die jüdischen Soldaten, an die wir heute denken. Wir sind es ihnen schuldig, wir sind es uns selber schuldig.
Nur dann haben wir hier eine Zukunft, vielen Dank.
Ihr Benjamin Graumann